Wieder Abenteuer


                Die Abenteuer kündigten sich am Freitagabend  an. Man hatte mir die Hotelrechnung präsentiert – ich musste Geld aus dem Automaten holen. Der im Hotel nur für Kreditkarten. Also zur nächsten Bank mit intaktem Geldspender. Dort eine neue Entdeckung. Die benötigten 4000 Hrywna konnte ich nicht in einem Gang bekommen. Nur 2000. Während ich überlegte, kam eine junge Frau, die mir vormachte, wie es geht. Eben noch einmal Karte einführen – und alles. So erarbeitet die Bank an den zwei Operationen!
              Allerdings bekam ich die Summe teilweise in 50-Hrywna-Noten, zum größten Teil auch noch in solchen zu 20 Hrywna. Damit eine große Rechnung bezahlen – eher Arbeit denn Vergnügen. Noch mit Geldkarte nicht möglich.

                Der  Sonnabend hatte es in sich. Ich konnte erneut sehen, wie meine Kollegen hervorragendes  Fachwissen, Intuition und Fantasie in die metallische Konstruktion einbrachten. Was nicht immer zu Verfügung stand, wurde mit Hilfsmitteln aus Vorzeiten erfolgreich ersetzt. Wir waren am Abend gegen 20.30 Uhr erschöpft, aber sehr zufrieden mit den Ergebnissen. Der Leiter des Unternehmens hatte selbst die Ergebnisse eingeschätzt und sich bei uns bedankt, dann das Taxi bestellt.
                Da fiel meinem älteren Kollegen plötzlich noch etwas ein. Also zurück an die Technik. Der technisch hoch gebildete Firmenchef und auch gut Deutsch sprechend erfasste die momentale Eingebung unseres Horst nach einigen Worten. Er wies sofort an, diese Variante gleich am Montag  auszuprobieren und bei Erfolg weiter in der Produktion anzuwenden.
                Wir verabschiedeten uns herzlich. Horst war rasch noch nach Zigaretten gegangen und klopfte anschließend bei mir an. In er Aufregung hatte er seine Tasche mit Werkzeug an eine andere Stelle gestellt und – vergessen. Weil alle körperlich auch hart gearbeitet hatten, also unter die Dusche mussten, ich mit vielem hier besser zurechtkomme, rief ich den Direktor an. Er gab dem Betriebsschutz Anweisungen. Ich fuhr per Taxi ins Werk, bekam nach einigen Minuten – die Schlüssel passten nicht zum nahen Hallentor – die Tasche und fuhr zurück. Der Fahrer war es zufrieden – auch über das Trinkgeld.

                Wir aßen zu Abend und verabschiedeten uns herzlich voneinander. Sie mussten ganz früh am Morgen nach Donezk zum Flughafen, von dort über Kiew nach Berlin fliegen. Ich ging nach dem Duschen sofort schlafen. Wollte etwas länger ruhen. Aber denkste! Um 04.20 Uhr lautes Klopfen an der Tür. „Wir brauchen deine Hilfe! Schon 20 Minuten warten wir – aber das versprochene Firmenfahrzeug ist nicht da!“
                Da war ich sofort hellwach und fast wie ein Blitz vor der Tür. Rief den Direktor an – er versprach Hilfe. „Der Fahrer hat verschlafen, kommt in 10 Minuten. Die Kollegen kommen zur Zeit nach Donezk!“ Das geschah auch. Aber meine Ruhe war hin.
                Meine Abreise um 17.22 Uhr per Eisenbahn, Ankunft gegen 8 Uhr in Kiew.
                Also noch ein wenig durch Lugansk spazieren.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger





Gewissen?


Wenn von einer genaueren Konstruktionszeichnung ein wesentlicher technologischer Prozess abhängt, beschafft man sich die heute über das Internet. Vor allem dann, wenn von der einwandfreien Funktion der einzurichtenden Maschine die Produktion eines ganzen Werkteils abhängig ist. Das Vertrauen auf das Internet hat – meist unbeachtet – zwei Folgeerscheinungen als Ergebnis.
Die erste: vor einem Einsatz von Auslandsmonteuren in fernen Ländern lässt nicht selten beim Entsender die Aufmerksamkeit in der Vorbereitung nach. Sollte von dem „Papierzeug“ etwas vergessen sein – Google wird das schon richten.
Die zweite: hat mich gestern vor Schreiben dieses Post`s erwischt. Mein Laptop meldete mir, dass ich nicht auf google.de zugreifen könne, weil laut Meldung ein Hacker versuchte, mich auf eine ähnliche Seite zu locken, um danach auf meinem Laptop etwas von ihm wichtiger Unordnung anzurichten.  Auch auf andere Webseiten konnte ich nicht zugreifen. Der Bursche saß fest vor meiner Tür.

Der Hacker ist gewissenlos. Auf meiner Website und in meinem Laptop sind nur harmlose Informationen zu erbeuten. An der Konstruktionszeichnung aber hing der Verdienst vieler Leute, welche die gewisse Summe Hrywna bei Ausfall der Technik nur schwer verschmerzen können. Hier ist das Sprichwort berechtigt: „Den Löffel braucht man besonders zum Mittagessen.“
Wir haben uns beholfen. Mit einer e-mail-Verbindung über einen fremden Computer. Haben die Zeichnung rechtzeitig bekommen, damit die Technik am Montag voll da ist. Nur: was geschieht, wenn eine solche gewissenlose Ratte die Verbindung in einem lebenswichtigen Prozess unterbricht – z. B. in einer fachärztlichen Konsultation bei einer Operation, von der ein Menschenleben, vielleicht gar ein Kinderschicksal abhängt?

Das ist für mich eine prinzipielle Frage.
Damit will ich keinem „Überwachungsstaat“ die Wege öffnen. Die jener sich selbst sucht und freiräumt, wenn das die Entscheidungsträger wollen. Sondern ich werfe die Frage ethischer Erziehung in einem besonderen Bereich auf. Die vielseitig ist – vom „Das macht man nicht!“ als Belehrung durch die Eltern über „Ich tue so etwas nicht!“ mit persönlichem Beispiel zum „Das sollte auf dich zurückschlagen!“ als Warnung.
Die Rolle der Massenmedien werde ich hier nicht diskutieren. Ich bin mir sicher, dass die Fantasie nicht weniger Drehbuch- und anderer Autoren den raffiniertesten Verbrechern und einigen gewitzten Anleitungen zum Handeln direkt zugeliefert hat. Beispiele großer Raubüberfälle nach Kinoscenarien sind bekannt, andere, kleinere auch.

Noch eine andere Variante staatlicher Kontrolle habe ich heute erlebt. Allerdings mit positivem Vordergrund. Um für die Rückreise nach Kiew eine Fahrkarte zu bekommen, ließ ich mich zum Bahnhof bringen. Dort fiel mir auf, dass die anderen potentiellen Reisenden ihre Ausweise durch das Schalterfenster reichten. Da erschrak ich ein wenig. Meine Frau hatte mir das von dem Kauf der Karte für mich schon berichtet. Wie sie nur durch Beziehungen davor bewahrt wurde, nach Hause kommen zu müssen. Ich hatte zwei Varianten offen: ins Hotel fahren, um den Pass zu holen – oder auf liebenswürdige Frechheit zu vertrauen. Entschied mich aus Zeit- und Kostengründen für die zweite Möglichkeit.
„Ich habe ein Problem und bitte sie um Hilfe. Weil ich Deutscher bin und ihre Gewohnheiten hier nicht kenne, habe ich nur meine EC-Karte mit meinem Namen bei mir. Würden sie mir dennoch eine Fahrkarte verkaufen?“ Die Dame lächelte und nahm die Geldkarte. Auf dem seitlich angebrachten Tableau tauchten langsam die ihr ungewohnten lateinischen Buchstabenfolgen meiner Vor- und Familiennamen auf. Nach deren Prüfung durch mich und der Bezahlung bekam ich Fahr- und Geldkarte ausgehändigt. Erneut mit freundlichem Lächeln – für das ich mich bedankte.

Meinen Kollegen konnte ich erneut ein Beispiel ukrainischer Gastfreundschaft in anderer Form erzählen.

BlleibenSie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger





Investition in Freundlichkeit


             Am Vorabend hatte ich erfahren, dass die Eigentümerin des kleinen, aber feinen Hotels am gestrigen Tag Geburtstag hatte. Wir beschlossen, uns wie Kavaliere zu verhalten und ihr mit einem Blumenstrauß in den Händen zu gratulieren. Will ich den Erfolg dieser Investition beschreiben, nenne ich hier den Preis für die ganz in der Nähe erworbenen Blumen: etwa 10 € oder 100 Hrywna, die Landeswährung.
             Wir kamen – noch arbeitsmäßig gekleidet, die Kollegen im Blaumann, von ihrer energischen Tochter geleitet sofort vor die Jubilarin. Die versammelte Gesellschaft erstarrte regelrecht – wir waren ja unbekannt. Wegen meines leichten Akzents bei den Glückwünschen hielt man mich für einen Jugoslawen – wie ich später erfuhr. Der öffentliche Abschluss der Zeremonie – drei Küsschen des Geburtstagskindes auf jeden von uns und die Einladung zum Abendessen im nebenan gelegenen Restaurant mit allem, was die Tafel hergab. Zu deutsch: auf Kosten des Hauses.
                                                                                                                                                                                                                    
Weil unsere Kollegen den ganzen Tag körperlich angestrengt gearbeitet hatten, erbaten wir uns Zeit für das Duschen und Umziehen. Anschließend nahmen wir an den für uns gedeckten kleinen Tisch Platz. Sofort eilte ein Kellner herbei, unsere Gläschen mit Wodka zu füllen. Da wir im Sichtbereich der Hausherrin saßen, erhoben wir uns und tranken ihr zu sowie aus – noch ohne etwas gegessen zu haben. Der Effekt leichter sofortiger Benommenheit sollte dem Leser bekannt sein. Wenn sie/er nicht Antialkoholiker ist.
In der Mitte des Tisches prangten drei Weißbrotscheiben mit rotem Kaviar, ansonsten waren unterschiedliche Fleisch- und Wurstwaren auf einem großen Teller mit Garnierung angerichtet, ebenso einer dieser Größe mit Radieschen, Cherrytomaten, allerlei Kräutern nach ukrainischer Manier und bunter geschnittener Paprika. Dazu Teller mit Besteck und Gläschen sowie Gläser für Getränke. Dazu der Brotkorb mit leckerem Schwarz- und Weißbrot.
Während wir aßen, bekamen wir an unserem Tisch Besuch anderer Gäste, welche sich davon überzeugen wollten, ob wir wirklich Deutsche sind oder mit uns einfach nur auf die Gesundheit der Dame des Hauses anzustoßen.  
Der Abend verging wie im Fluge – für meine Kollegen besonders interessant, weil sie mit dem Brauchtum nicht so vertraut sind. Als gegen 23 Uhr unser Kollege Elektroniker ankam – er war nach Donezk geflogen und von dort geholt worden – fand sich für ihn auch nicht nur ein Platz an unserem Tisch, sondern auch noch genug nett Serviertes gegen seinen Hunger und Durst.

Wenn wir den Abend rein rechnerisch sehen – für die Investition von 100 Hrywna hatte wir zu viert mindestens für 1000 Hrywna gegessen und getrunken. Also betriebswirtschaftlich ungeheuer profitabel.
Aber meine Kollegen haben mit mir einen anderen Ansatz diskutiert. Nämlich die Merkmale und aus denen folgende Ergebnisse von nachbarlich-freundschaftlichem Umgang miteinander, Höflichkeit, Aufmerksamkeit und ungeahnter ukrainischer Gastlichkeit, besser als Gastfreundschaft zu bezeichnen. Sie sagten mir, dass dieser Abend für sie lange in Erinnerung bleiben würde.
Mir blieb nur hinzuzufügen, weshalb nach Auffassung eines Kenners der slawischen Gebräuche, meines Freundes Viktor Wassiljewitsch, die Gastfreundschaft bei ihnen so entwickelt ist. Seit Urzeiten waren die Slawen in erster Linie Hirtenvölker. Neuigkeiten für sie brachten die seltenen Gäste. Deshalb wurde alles unternommen, diese Ankömmlinge gesprächig zu machen und lange bei sich zu behalten. Genial einfach als Taktik und als Argument.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger




                                                                                                                                                                                                               

Sterbeexperte???


                Folgenden e-mail fand ich gestern in meinem Postkasten. Ich zitiere das Wesentlichste.

Liebe/r SNewiger,
Du hast schon über 10 Antworten zum Thema

·         Sterben

gegeben. Toll, anscheinend kennst Du Dich hier wirklich gut aus. Zeige der Community doch, dass Du Dich dafür interessierst, indem Du gleich dieses Expertenthema in dein Profil einträgst.
Du findest dann Fragen zu deinen Expertenthemen in deiner „Gute Fragen“-Box auf der Startseite, außerdem kannst Du die regelmäßige Expertenbenachrichtigung mit aktuellen Fragen und Tipps bestellen.
……

Wir freuen uns auf weitere Beiträge von Dir
Dein gutefrage.net-Team

                Da ich noch nicht ein einziges Mal gestorben bin, werde ich mich bei Lebzeiten mangels eigener praktischer Erfahrung mit einem solchen Expertenstatus nicht abfinden. Meine Antworten (es sind bisher rund 460 auf gutefrage.net) haben zum genannten Thema etwas anderes beigetragen.
Es ging mir immer darum, das Verständnis für einen unwiderruflichen Abschied als Teil menschlichen Lebens zu vertiefen, das damit verbundene seelische Leid zu lindern, die Bereitschaft zum bewussten und aktiven Weiterleben bei Hinterbliebenen zu stärken und vor allem jene psychologisch zu stützen, welche den Sinn eigenen Lebens noch nicht erkannt haben. Von dessen Einmaligkeit und Schönheit noch zu wenig verstehen, zu unerfahren sind.

Deshalb wäre ich bereit, einen Experten für Leben abzugeben. Zumal ich auf meiner Website reich-weil-gesund.com gesunde Lebensweise als solche propagiere.

Meine Beiträge schreibe ich immer dann, wenn ich aus der gestellten Frage annehmen kann, dass mein Rat aus meinen technischen Kenntnissen, meiner pädagogisch-psychologischen Ausbildung und meiner Lebenserfahrung wirklich von jemandem gebraucht wird. Also in erster Linie nicht, um jemanden zu erfreuen – wenn ich ein Kompliment oder die Auszeichnung mit „Hilfreichste Antwort“ bekomme, hat sich der Schreibaufwand natürlich besonders gelohnt.

                Vom gutefrage.net-Team erwarte ich im Weiteren, dass es die eigenen Fragen und auch Antworten auf der Plattform etwas sorgfältiger bedenkt und formuliert. Also auch darauf achtet, automatisch generierte Fragen/Antworten für Bereiche auszuschließen, in welchen diese nicht sehr sinnvoll sind.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger






Sonntagsvergnügen...


                Wir hatten am Sonntag 6 Stunden gearbeitet, weil wir auch etwas Sehnsucht nach daheim haben. Anschließend gab es die Möglichkeit, einige Gespräche zu führen. Mit Einheimischen, versteht sich. Die Informationen waren für beide Seiten von Interesse.
                In der Ukraine hält sich bei vielen Bürgern die Meinung, dass die Bundesrepublik ein Land ist, in welchem Milch und Honig den Leuten in den Mund fließen. Das hat natürlich einige Gründe. Zum einen die Selbstdarstellung unseres Vaterlandes in Medien und Broschüren – sie ist logischer Weise nicht darauf gerichtet, die Schmutzwäsche öffentlich vorzuzeigen. Dann gibt es nicht wenige Auswanderer aus der Ukraine, welche mittels geschickter Nutzung gesetzlicher Freiräume ins deutsche Land gekommen sind. Einige darunter haben Arbeit, verdienen so viel Geld, dass sie auch bescheiden davon leben können – andere führen mit der ihnen zugesprochenen Sozialhilfe ein in ihren Augen auskömmliches Leben. Mit etwas Fantasie haben beide Gruppen Zusatzeinkünfte, die nach einiger Zeit für ein preiswertes Auto aus zweiter Hand reichen. Das wegen der benutzten Straßen und der sorgsamen Pflege im zehnten Jahr noch fast fabrikneu aussieht. Wenn diese Personen in der Ukraine auftauchen, stellen sie ihre neue Heimat natürlich auch im günstigsten Licht und sich vor allem gegenüber Fremden als besonders erfolgreich dar. Anschließend gibt das „Radio Sarafan“ diese Story weiter – in Deutschland würde man etwa sagen, dass sie sich wie ein Lauffeuer verbreitet.  
               
                Wir hatten uns mit dem Gesprächspartner darauf geeinigt, dass wir alle so offen wie möglich die Fragen der anderen Seite beantworten.
                Als unserem Partner bewusst wurde, dass der Höhe der Einkünfte auch eine entsprechende Summe an Ausgaben gegenübersteht, war das eine Art „erster Schock“. Denn in den Haushalten meiner deutschen Kollegen werden mehr als 50 % der Einkünfte als Ausgaben für das Wohnen (Miete, Elektroenergie) aufgewendet. Der Preis für einen Herrenhaarschnitt in der Ukraine (1,80-2,20 €) fällt gegen den in Deutschland (12-16 €) deutlich ab – und das Geld für ein Weißbrot in Deutschland reicht  hier, um 9-10 davon zu kaufen. Andererseits sind die Preise für Rind- und Schweinefleisch vor Ort nur wenig geringer als in der Bundesrepublik.
                Wir kamen in dem Zusammenhang dann auf die sehr unterschiedliche Bezahlung in deutschen vergleichbaren Unternehmen der Metallbranche bzw. Autoindustrie zu sprechen, auch auf die miserable Entlohnung für Pflegekräfte und medizinisches Personal im Vergleich mit Schönheitschirurgen... Allerdings waren meine Kollegen doch erschrocken darüber, dass eine junge Ärztin in der Ukraine, genauer in der Region Lugansk im Monat umgerechnet etwa 120 € verdient – ein Maschinenarbeiter fast das Doppelte bis Dreifache, sein Meister etwa das Vierfache vom genannten Arztgehalt. Diese sozialen Gefälle sind noch typisch für die Ukraine. Nur stellt sich hier die Frage: wieviel ist der Erhalt eines einzelnen Menschenlebens, der gesamten nationalen Gesundheit den Entscheidungsträgern wert?

                In der Unterhaltung war ich nicht nur Dolmetscher, sondern mehr Moderator. Meine 18 Jahre hier im Lande halfen mir, Wogen zu glätten und die Diskussion wieder ins Sachliche überzuleiten. Mein Hinweis auf die bescheidenen Löhne der Kellnerinnen, die uns immer angenehm, nicht aufgesetzt lächelnd bedienten, löste an diesem Nachmittag eine besondere Großzügigkeit bei Trinkgeldgeben aus.

                Im Restaurant hatten wir noch ein besonderes Erlebnis. Ein etwa fünfjähriger, schlecht erzogener Junge kletterte in Nähe seines Vaters auf den Tresen und kroch auf allen Vieren diesen entlang. Weil ich grundsätzlich etwas gegen solche Auswüchse habe, stand ich auf, griff mir den Bengel und hob ihn hoch, stellte ihn anschließend auf den Fußboden – mit einigen Bemerkungen. Hätte ihn die etwa 15 Jahre alte Tochter nicht gebremst, wäre mir der stark angesäuselte Papa beinahe an die Gurgel gesprungen. Bis ihn seine energische Frau auf den Weg zum Taxi bugsiert hatte, wollte er immer wieder in Richtung auf unseren Tisch los – nur von Töchterlein gebremst. Das Söhnchen hatte sich hinter ihm versteckt. Ich befürchte, dass Vater und Sohn noch vom Schicksal ihre Prügel bekommen…
  
Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger





Sprachabenteuer


                Unter den Piloten werden die als die besten Liebhaber bezeichnet, welche Hubschrauber fliegen. Dafür gibt es eine für viele Leute erstaunliche Erklärung. Diese Flugmaschinen lassen sich bei Start und Landung viel schwieriger steuern als Flugzeuge. Der Grund: es stört die Erde. Denn die von der Tragschraube nach unten gedrückte Luft trifft auf die Erdoberfläche und wird zum Teil zurück gestaut. Es bildet sich eine Art Luftpolster. Wer schon einmal auf einem Luftkissen gesessen hat weiß, dass das unter dem Allerwertesten sehr leicht in beliebige Richtungen nachgibt. Ähnlich geht es einem mit einem schlecht aufgeblasenen Schwimmring im Wasser. Wer die Luftbewegung schlecht einschätzen kann, sitzt bald auf der Erde oder liegt im Wasser. Hubschrauberpiloten müssen mit dem Hintern regelrecht „erfühlen“, wohin ihr Fluggerät abwandern will und deshalb bei Start oder Landung fast jede Sekunde irgendwie eingreifen, nur um kaum zu ahnende Abweichungen zu verhindern. Diese Fähigkeit, sie betreffende Situationen voraus zu sehen, macht sie gegenüber unseren nicht immer berechenbar denkenden Damen eindeutig zu Favoriten.
                Nach meinen Beobachtungen hier an seelenloser Technik komme ich zu dem Schluss, dass die guten Werkzeugbauer den Piloten den Rang ablaufen könnten. Sie erfühlen regelrecht, dass nicht ein falsch geschnittenes Gewinde der einzudrehenden Schraube entgegenwirkt, sondern ein Span, der trotz Ausblasen mit Druckluft in der Bohrung sich verklemmt hatte. Was ich daheim mit etwas Krafteinsatz anbringe, lassen sie sein. An dessen Stelle tun sie alles, um den Span heraus zu bekommen. Begründung: bei erforderlicher Reparatur bekommt man das Teil nicht heraus, denn nach gewisser Zeit sitzt die Schraube bombenfest. Diese Erfahrung machte ich schon – jetzt werde ich das vermeiden können.   
                Oder – sie lösten eine große Schraube heraus, obwohl die gefasst hatte, aber zu lang überstand. Dabei äußerten sie sich wenig fein über den Monteur. Meine Frage wurde so beantwortet: „Die Schraube soll einerseits das Teil einfach halten, es andererseits mit dem Schraubenkopf an die Unterlage pressen. Diese zweite Aufgabe erfüllt sie nicht. Der Monteur war offensichtlich nicht einmal ein richtiger Klempner.“

                Der Ältere von beiden Kollegen war gestern mutig. Er hatte bei unserer Fahrt ins Hotel den Schriftzug „SPAR“ gesehen – gemeinsam mit Reklame für ein Lebensmittelgeschäft der Firmenkette in ukrainischer Sprache. Bemüht, den Dolmetscher nicht zu überlasten, nahm er seine Tragetasche und machte sich zu Fuß auf den Weg. Allerdings wunderte er sich, dass er nach längerer als geschätzter Zeit an einer großen Kreuzung ankam. Weil dort jedoch in einem Schaufenster Lebensmittel zu sehen waren, ging er in das Geschäft. Dort nahm er sich in Selbstbedienung alles, wie in einem deutschen Supermarkt. Ging an die Kasse, an der keine Leute zu sehen waren. Weil er kein Wort verstand, bekam er erst nach längerem mit, dass die Kassiererin Feierabend hatte, ihn an eine andere Kasse verwies. Dort wurde er etwas gefragt, das er mit Kopfnicken beantwortete. Dafür bekam er eine Plastiktüte, die er nicht gewollt hatte, aber nahm. Als er bezahlte, hatte er erst einen kleinen Schein vorgeholt, dann den größeren. Erneut redete die Verkäuferin auf ihn ein. Er antwortete „No Russisch!“ – sie gab ihm mit Gesten zu verstehen, dass sie den kleineren Schein möchte, um besser herausgeben zu können. Den größten Schock bekam er, als sie ihm verbat seine Waren zu nehmen – sie legte die selber fein säuberlich in seine Einkaufstüte und verabschiedete ihn mit einem Lächeln. Ich kommentierte seine Erlebnisse mit der Bemerkung, es hätte noch dicker kommen können. Wenn nämlich – für Deutsche absolut unverständlich – an der Kasse keine alkoholischen Getränke bezahlt werden konnten, er also mit seinem Bier stecken geblieben wäre. Vielleicht muss ich ihnen das dort vorführen, wo ich das auch hier schon erlebte.
               Als er nach seinen Abenteuern wieder zurück ins Hotel ging, sah er plötzlich rechts von sich den gesuchten Schriftzug "SPAR" - und ärgerte sich nur ein wenig über den unnötigen Weg.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger






                

Ehre der Arbeit


Erstmalig bin ich über längere Zeit in der Werkhalle  eines Unternehmens tätig, welches unter anderem Produkte für die Montanindustrie fertigt. Gelegen in der Ostukraine, in Lugansk. Weil meine Kollegen die sprachliche Unterstützung nur selten brauchen – sie sind mit monotonen Arbeiten beschäftigt wie Löcher in metallische Konstruktionen bohren und darein Gewinde schneiden – habe ich mir einen Arbeitsplatz für meine Schreibarbeit in Nähe elektrischer Anschlüsse gesucht. Diese sind in der Werkhalle selten – die Fertigungstechnik ist an 308-Volt-Netze angeschlossen. Etwa alle 20 Minuten läuft automatisch der von meinem Stuhl ca. 1,5 m entfernte Kompressor an, um den Druckbehälter für zwei Werkhallen aufzufüllen. Er macht viel Lärm. Dagegen habe ich mir meine Kopfhörer vom Laptop aufgesetzt. Im Hintergrund sind die Geräusche von zwei Karusseldrehbänken und einer Wasserstrahl-Schneidmaschine hörbar.
Soeben hat uns der junge Maschinenfahrer aus der ersten Schicht an der von uns zu vervollkommnenden Spezialmaschine freudestrahlend verkündet, dass der Schwangerschaftstest bei seiner Frau positiv ausgegangen ist und uns zur Taufe eingeladen.  Ein freudiges Vorereignis.
Heute früh habe ich erstmals im Becken der Wasserstrahl-Schneidmaschine eine Metallplatte von 8 cm Stärke gesehen und den mit Einstellarbeiten beschäftigten Bediener gefragt, welche Metalldicken geschnitten werden können und mit welchem Druck.  Erfahren, dass Teile mit hoher Genauigkeit und unbeschädigten Schnittflächen aus Stahl oder anderem Metall bis 200 mm Dicke (20 cm!) herausgearbeitet werden. Die numerisch gesteuerte Maschine liefert dabei die erstaunlichsten Formen nach Vorgabe. Anschließend habe ich ein fertiges Werkstück beschaut und betastet. Recht glatt, ohne Grat, exakte Form. Deutlich dem bekannteren Brennschneiden überlegen oder dort, wo möglich, dem vorzuziehen.  Natürlich wird die Anwendung auch hart kalkuliert.
Der Arbeitsdruck: 3500 bar – für ungeübte – 3500 Atmosphären. Welche Anforderungen an Sicherheitsstandards! Und an die Disziplin im Umgang mit solcher Technik! Habe hier in diesem Zusammenhang auch eine andere Information richtig einzuordnen gelernt: die Demontage von Titan-Auskleidungen in Startschächten von Raketen (Abrüstung in USA und Russland) wird mit solchen Schneidwerkzeugen vorgenommen, um mögliche Reste von Treibstoffen nicht zu entflammen. Dem an und für sich nicht kompressiblen Wasser werden noch feinste Sande oder andere Stoffe beigegeben, die Schneidmöglichkeiten zu verbessern.

In der nebenan liegenden Werkhalle bekam ich auch den Operator zu fassen, welcher gerade erst ein 60 mm dickes  und etwa 2,20 m langes gerades Metallstück (Stahl) zwischen die Walzen seiner Maschine eingelegt hatte. Durch Kaltwalzen sollte daraus ein Halbkreis geformt werden – von etwa 1,3 m Durchmesser. Der anschließend an einem anderen Platz mit einem zweiten Halbring zu einem Kreis verschweißt werden würde. Eine Weile sah ich diesem Vorgang zu – in der Abfolge der Arbeitsgänge sehr eintönig, jedoch volle Aufmerksamkeit und disziplinierte Einhaltung technologischer Vorgaben erfordernd. Denn ein hier verpfuschtes Werkstück kann nicht wie ein verbranntes Brötchen an Hühner oder Schweine verfüttert werden… Wie mein deutscher Kollege treffend sagte: „Von den langen Maschinenschrauben habe ich einige mehr mitgebracht. Die kann man einkürzen. Kurze zu verlängern ist komplizierter.“

Da ich trotz Ausbildung als Ingenieur und dadurch erworbenen Grundkenntnissen in allen Bereichen nie mit Konstruktion oder Produktion von Maschinen zu tun hatte, sondern nur mit deren Nutzung, sind mir viele Vorgänge in der Fertigung neu und deshalb interessant. Vor allem auch deswegen, weil meine Ausbildung und mit ihr verbundene Praktika in Industriebetrieben mehr als vierzig Jahre zurückliegen. Die Notwendigkeit von Spezialisten in allen produzierenden Bereichen erfasste ich hier erstmals so deutlich – auch, weil ich sie mit den mir inzwischen schon unangenehmen aufdringlichen Lockungen im Internet verglich. Nur ist dieses ihr Wissen und Können im Internet sicher nicht verwertbar. Es ist folglich etwas überheblich zu behaupten, jeder könne dort erfolgreich und reich werden. Weil nur das vermarkungsfähig ist, was auch allgemein interessiert. Wer aber interessiert sich dafür, wie ein 6 cm dicker gerader Metallstab von 2,20 m Länge (Abmessungen austauschbar) und 10 cm Breite in einen Halbkreis umgearbeitet wird? Aus hunderttausend Lesern vielleicht einer. Damit ist ein auf diese Spezialität ausgerichteter Blog einfach nicht profitabel. Nur ist häufig der Maschinenarbeiter-Spezialist nach der „Schicht für andere“ nur körperlich und geistig fertig, an seinem Ende. Er hat alles gegeben, damit wir die Segnungen moderner Technik nutzen können.

Ihn zu achten – das sollte unsere Einstellung sein. Denn genau das, was Ferdinand Freiligrath in seinem Gedicht "Ehre der Arbeit" so ausdrückt, ist wahr:

Wer den wucht'gen Hammer schwingt, wer im Felde mäht die Ähren, 
wer ins Mark der Erde dringt, Weib und Kinder zu ernähren, 
wer stroman den Nachen zieht, wer bei Woll` und Werg und Flachse
hinterm Webestuhl sich müht, dass sein blonder Junge wachse:
Jedem Ehre, jedem Preis! Ehre jeder Hand voll Schwielen!
Ehre jedem Tropfen Schweiss, der in Hütten fällt und Mühlen!
Ehre jeder nassen Stirn hinterm Pfluge!- doch auch dessen,
der mit Schädel und mit Hirn hungernd pflügt, sei nicht vergessen!“

      Nicht der umtriebige „Manager für Vertrieb“, der anscheinend das Geld hereinbringt,  ist die Hauptperson – sondern derjenige, der ohne jede Herrschaftsansprüche täglich seiner wirklich unentbehrlichen Arbeit nachgeht, die Waren für den Vertrieb zu schaffen.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger





Alle Millionäre?


                Keinem von jenen, die im Internet mit guten Ideen und Produkten schon viel Geld verdient haben, neide ich auch nur einen Cent. Allerdings angesichts dessen, was ich eben erst erlebt habe, erlaube ich mir einige Bemerkungen. Zum Überdenken. Zuerst zu den Erlebnissen.

                Zurzeit bin ich in Lugansk, einer ostukrainischen Stadt. Sie hat industriellen Hintergrund seit ihrer Gründung – im Prinzip um eine Stahlgießerei herum. Während die Eisenvorkommen erschöpft sind, gibt es in der Nähe noch Steinkohleabbau. Wir sind mit zwei anderen Kollegen dabei – ich als Dolmetscher – eine aus Deutschland eingeführte Spezialmaschine in einem hiesigen Industriebetrieb mit erforderlichen Konstruktionselementen zur ergänzen. Die Arbeit ist sehr aufwändig – bei Konstruktion nach anderen Vorgaben und Vorüberlegungen wäre sie vielleicht unnötig gewesen.
                Eines der Elemente war extrem lang – es einzukürzen wäre möglich gewesen, hätte die Effektivität der geplanten Änderung aber verringern können. Deshalb eine Beratung mit dem Kranführer und der Gruppe ukrainischer Arbeiter, welche die Einsenkung des Bauteils mit zu begleiten hatten.
                Aus den vielen Vorschlägen kristallisierten sich alle jene heraus, die sinnvoll und machbar erschienen. Auch da gab es Korrekturen durch die Praxis – aber der Kranführer des Autokrans brachte mit gefühlvoller Millimeterarbeit das 2,85 m lange und etwa 800 kg schwere Kreuzstück über die Öffnung, in welche es versenkt wurde. Dabei hätte er leicht das Hallendach von innen abdecken oder schon existierende, wesentliche Aufbauten der Spezialmaschine beschädigen können… Auf den Gesichtern aller Beteiligten erschien das Lächeln der Erleichterung und des Stolzes auf das „Wir haben es doch geschafft!“ Wir drei bedankten uns vor allem beim Kranführer.

                Alle ukrainischen und deutschen Mitarbeiter könnten sich bessere Arbeitsbedingungen und Löhne vorstellen. Viele gehen auch mit, wenn der Ruf erklingt, sich selbständig und auch finanziell unabhängig zu machen. Also lange durchschlafen, arbeiten nach Lust und Laune sowie ohne Chef, mehr verdienen, mehr Zeit für die Familie oder Hobbys, Urlaub mehr und öfter und was alles sonst im Internet noch angepriesen und versprochen wird.
Nur steht dann die Frage Bertold Brechts im Raum: „Wer baute das siebentorige Theben?“

Auch im eigenen Traumhaus auf Mallorca gibt es keine Croissants mehr zum späten Frühstück nach dem ausgiebigen Schlaf, wenn der Bäcker auch länger schläft und an Stelle von frischen Backwaren  im Internet das Coaching zum Brötchen-Selbstbacken verkauft. Kein Luxuswagen wird mehr repariert – die Mechaniker werden reich durch Videokurse über Selbst-ist-der-Mann bei der Porsche-Reparatur… Wenn wir alle zu Internet-Dienstleistern mit extrem hohen Bezügen werden, müssen die Gelddruckmaschinen in drei Schichten laufen – 7 Tage in der Woche. Manche Dinge werden dann klarer, wenn man sie ins Extreme steigert.

Wer sich auf einen Internet-Geschäftsversuch einlässt, muss sich im Klaren darüber sein: es ist ein Vorgang wie an der Börse – du riskierst allerdings mit wesentlich geringerem Einsatz als bei einer Unternehmensgründung auf übliche Weise, kannst bei genauerer Einsicht, erworben durch eigenen Fleiß und gute Berater wirklich großen Gewinn machen. In anderem Falle machst du jene zu Millionären, welche deine Verluste als Teil ihres Gewinns mit einfahren.

                Einer meiner Brüder ist ein begnadeter Handwerker. Er findet die Welt im Wesentlichen in Ordnung so, wie sie ist. Geld im Internet zu verdienen fiele ihm im Traum nicht ein. Er hat da den Stolz jener, von denen man sagt: „Sie haben es mit ihrer Hände Arbeit geschaffen.“ Und wenn es die Laube im Schrebergarten ist. Er hat bei einer Gelegenheit einmal gesagt: „Komm du Maulwerker mal an meine Drehbank. Da sehen wir, wer wen!“ Von seiner Art waren heute und sind in Zukunft alle jene, die uns bei unserer Aufgabe hier geholfen haben. Das sind auch alle, welche weiter Haare schneiden, Kartoffeln oder Reis anbauen, iPhones montieren oder Lokomotiven durch die Nacht fahren. Die nicht laut rufen: „Werte Millionäre, kommt zu uns an die Werkbank.“ Denn dann werden die geschäftstüchtig durch Automatisierung verringerten Arbeitsplätze noch weniger – selbst wenn mancher der Genannten bei Test auf berufliche Brauchbarkeit ausgesondert würde…

                Es gibt unter allen, welche gute Geschäftsideen zugkräftig im Internet vermarkten auch jene, die ehrlich formulieren, dass sie die Dienste dritter gegen Bezahlung einsetzen. Das können auch im eigenen Internet-Unternehmen beschäftigte Mitarbeiter sein. Sie überzeugen mich mit einer sachlich stimmigen Kosten-Nutzen-Rechnung. Dabei wird von ihnen auch erwähnt, dass Dienstleistungen aller Art sehr preiswert zu bekommen sind. Die Dienstleister also kaum Millionäre werden.
Es bleibt zu wünschen, dass die genannten abhängig beschäftigten Personen ebenso wie ihr Arbeitgeber leben – wovon ich nicht überzeugt bin… Sie werden rechtzeitig aufstehen, pünktlich auf der Arbeit sein müssen, den Weisungen eines – vielleicht auch guten – Chefs nachkommen dürfen, Freizeit und Urlaub  nicht nach eigenem Wunsch organisieren können…

Es im Internet nicht zu versuchen ist auch kein Ausweg. Eine beliebige Chance kann zu „der Chance“ werden. Für Selbstverwirklichung und ein bescheidenes Zusatzeinkommen.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger







                

Nach dem Sonntagsspaziergang


Eigentlich hatten wir, um Zeit zu gewinnen, am Sonntag wenigstens sechs Stunden arbeiten wollen. Die zusätzliche Montage einer Baugruppe an eine bereits in Betrieb gegangene Maschine ist extrem zeitaufwendig. Allerdings konnte der Auftraggeber aus innerbetrieblichen Gründen unserem Wunsch nicht nachkommen. Also baten wir seine unverheiratete Sekretärin, welche einige Zeit offiziell in Deutschland gearbeitet hatte, uns die Besonderheiten ihrer Heimatstadt zu zeigen. Etwas verschämt meinte Julia, sie habe einen Haushalt – sie lebe mit einem Lebensgefährten zusammen. Bei ihnen wäre das Wochenende schon verplant. Also war der Ball wieder bei mir.
                Deshalb gingen wir drei am Sonntag nach dem relativ spät eingenommenen Frühstück zum Zentralmarkt. Auf einer Parkallee in seiner unmittelbaren Nähe war „Vogelmarkt“ – die Bezeichnung für privat eingerichtete zeitweilige „Verkaufsstände“, an denen allerlei junge Haustiere – vorwiegend Hunde und Katzen – verkauft werden. Ab und an auch Jungvögel.
            Dort saß zu meinem Erstaunen Xenia, ihre kleinen Kätzchen anbietend. Wir begrüßten uns freundschaftlich – von meinen Kollegen erst einmal etwas befremdet registriert. Als sie ihnen auch die Hand reichte – hier ein Vorrecht der Frauen, das ich meinen Mitstreitern schon erläutert hatte – waren sie angenehm überrascht.
                An einem Obststand wurde ich von den beiden Verkäuferinnen – Schwestern – wie ein lieber Freund begrüßt, da ich bei ihnen zu jedem Besuch in Lugansk immer meine täglich zu verzehrenden Äpfel kaufte. Erneut eine erstaunte Reaktion der beiden Herren.
               Endgültig kamen die Männer zu der Auffassung, dass ich ein unverbesserlicher „Weiberheld“ sei, als im Fischpavillon eine Verkäuferin mit mir ein freundschaftliches Gespräch begann mit dem Hinweis darauf, dass sie wieder so schmackhaften Räucherfisch im Angebot hätte, von dem ich beim vorigen Besuch ein Stück gekauft hätte.
                Die an orientalische Basare erinnernde unangenehme Enge zwischen den Verkaufsständen, die eintönige Vielfältigkeit des Angebots, das intensive Aushandeln von Preisen – alles in Deutschland nicht so zu beobachten. Aber auch die offensichtlich damit verbundenen Probleme jener, die häufig apathisch in ihren Ständen standen oder saßen, ließ bei meinen Kollegen Fragen aufkommen.

                Auf dem Rückweg sahen wir am „Lugansker Handelshaus“ sehr gut aufgemacht Bilder zur Lugansker Geschichte, dazu die Vergrößerung aus einer Anordnung von Zarin Katharina II. von 1795 zur Gründung einer Eisengießerei am Fluss Lugan mit Schaffung einer Siedlung daselbst. Die Begründung: in der Nähe waren Steinkohlevorkommen und Lagerstätten von Roteisenerz entdeckt und Gruben in Betrieb genommen worden.

                Nach einem bescheidenen, wohlschmeckenden und für meine Kollegen erstaunlich preiswerten Mittagessen in einem äußerlich unscheinbaren Restaurant ging es ins Hotel zurück. Am Nachmittag baten sie mich, mit ihnen doch einen Spaziergang durch die nähere Umgebung zu machen, welche geprägt ist durch mehr oder weniger erhaltene Einfamilienhäuser (so genannter „Privatsektor“). Mein Einwand, dass dort nichts architektonisch Bemerkenswertes zu erwarten wäre, wurde abgeblockt: wir wollen einen Eindruck davon bekommen, wie die Menschen hier in ihrem Alltag leben. Diese Eindrücke waren vielschichtig – darunter die von den Mauern des hiesigen Untersuchungsgefängnisses. Fazit: es sind neben den Abrissobjekten solche zu sehen, die davon zeugen, dass die Bewohner in sinnvolle Reparatur und auch äußeres Aussehen investiert haben – der Schritt voraus ist zu erkennen.

                Am Montag die Arbeit am Vorhaben und der Beweis für die Findigkeit unserer ukrainischen Partner. Montierte Maschinen sind in ihren äußeren Konturen nicht unbedingt genormt. Also ist das Anheften von Blechschablonen für maßgerechte Bohrungen nicht einfach. Herkömmliche Zwingen waren zu klein. Aber man hatte von den ukrainischen Mitarbeitern den Sinn erfasst und auf eine verblüffend einfache Art „Hilfszwingen“ gebastelt, welche ihren Zweck ordentlich erfüllten. Für mich war erneut deutlich, wie helle Köpfe und geschickte, an Arbeit erfolgreich trainierte Hände die technischen Wunder vollbringen, auf denen moderne Produktion beruht. Durch welche Produkte entstehen, die von deren Verbrauchern nicht selten ohne Achtung vor der darin steckenden fachlichen, also intellektuellen und körperlichen Leistung genutzt werden.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger







Weibliche Logik

          Mein Freund Valentin schickte mir diese nette Geschichte zum Sonntag - ich gebe sie übersetzt weiter.


Die Lehrerin für Französisch erklärte ihrer Klasse, dass im Französischen die Hauptwörter (Substantive) unterschiedliche Artikel bekommen in Abhängigkeit von ihrem Geschlecht – weiblich oder männlich.
Einer der Studenten fragte, welches Geschlecht das französische Wort für Computer habe, ist es weiblich oder männlich? Denn im Wörterbuch wäre es nicht zu finden.
Um ein wenig zu scherzen, teilte die Lehrerin die Klasse in den weiblichen und männlichen Teil mit der Aufgabe, das Geschlecht des Wortes zu bestimmen. Die Auswahl sei mit vier überzeugenden Behauptungen zu begründen.

Die männlichen Teilnehmer entschieden, das Wort sei weiblich. Ihre Begründungen:
1.       Niemand versteht ihre innere Logik, außer denen, welche sie schufen.
2.       Die Sprache, in der sie untereinander reden, ist allen Anderen unverständlich.
3.       Sie behalten kleinste Fehler im Gedächtnis für zerstörende Anwendung.
4.       Kaum hat man einen Computer bekommen, geht die halbe Löhnung für Accessoires drauf.

Die Studentinnen entschieden, das Wort sei männlich.
1.       Um seine Aufmerksamkeit zu erregen, müsse man ihn „anmachen“.
2.       Er speichert in seinem Hirn viele Informationen, handelt aber hirnlos.
3.       Er wurde zur Lösung von Problemen geschaffen, ist aber meistens selbst das Problem.
4.       Wenn sie einen haben, verstehen sie, dass sie mit ein wenig Warten das bessere Modell hätten bekommen können.

Die Studentinnen gewannen.      

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger





Gemopst...

          Es war der erste Tag  meiner wie immer sachbezogenen Visite in Lugansk (Ostukraine) Meine deutschen Schutzbefohlenen waren für die Nacht angekündigt - per Flugzeug nach Donetsk. Von dort mit Auto der ukrainischen Firma hierher - Ankunft weit nach Mitternacht.

          Schon auf der Zugreise hatte ich mich bei Stöbern in meiner Visitenkartenbox mit einer Karte besonders beschäftigt. Irgendwann, etwa vor acht Monaten, hatte ich auf merkwürdige Weise im Zug ein Ehepaar kennen gelernt. Sie hatte auf meinem Laptop aus einiger Entfernung eine Fotografie unseres Alabai Athos gesehen und war herangekommen, das Tier zu bewundern. Dann sagte sie etwas, das mich zum lauten Lachen reizte: "Ja Mopsicha." - auf deutsch: "Ich bin Mopsfanatin." Allerdings ist der Wortteil "Psicha" im Russischen als "Psich" die Bezeichnung für einen Verrückten. (aus dem Bereich Psychologie als verkürztes Lehnwort übernommen). Die reizende Frau sich als verrückt vorzustellen fiel mir schwer.
          Es stellte sich heraus, dass sie und ihr Mann Architekten sind, allerdings nicht im Beruf tätig. Ein eigenes Häuschen endlich kaufen konnten, an dem sie sich mit Sachkenntnis "austoben". Wir kamen, weil ich kurz zuvor auf dem Hundertwasser-Bahnhof Uelzen gewesen und beeindruckt war, auf jenen zu sprechen. Schließlich bekam ich die Visitenkarte mit der Einladung, bei Besuch in Lugansk anzurufen, um bei ihnen auch Gast zu sein.

          Als Xenia mich erkannt hatte, erfolgt prompt die Frage: "Wann werden sie in ihrer Freizeit bei uns sein?" Da die zu betreuenden Mitarbeiter kein Wort Russisch können, war "Amme rund um die Uhr" angesagt. Ich hatte nur gestern noch Freizeit. Wir verabredeten uns - beide holten mich am Hotel ab. Ich übergab der Hausherrin ein Sträußchen, dem Hausherrn, wie in der Ukraine bei einem Erstbesuch üblich  ist, ein Brot und anstelle einer Flasche mit Alkohol eine Tafel Bitterschokolade.
          Wir kamen zu einem deutlich im Umbau befindlichen unverputzten Haus. Xenia zeigte mit ihr gut bebautes bzw. auf Anbau von eigenem Gemüse vorbereitetes und mit Halbstamm-Obstbäumen ordentlich bepflanztes Grundstück. Im Haus empfingen uns vier sehr bewegliche Mopsdamen und sieben Katzen - der Nachwuchs etwas später als die neugierigen Muttis. Trotz dieser Fülle an Lebewesen nicht eine einzige "Duftspur".
          Nachdem ich auch noch den 21-jährigen Sohn (Silbermedaillengewinner der Europameisterschaften im Kampfsport ohne Regeln) und seine 16-jährige, etwas zurückhaltende Schwester kennengelernt hatte, wurden wir zu Tisch gebeten. Xenia machte mich darauf aufmerksam, dass sie die Fastenzeit einhielten - weniger aus religiösen, sondern aus gesundheitlichen Gründen. Ob ich damit Probleme hätte?
          Die ukrainische und auch die russische Kirche leiten 50 Tage vor Ostern  das sogenannte "große Fasten" ein - bis zu ihrem Osterfest (das nur selten mit dem in Westeuropa nach den Datum zusammenfällt, weil diese Kirche nach dem julianischen Kalender rechnet). In der Fastenzeit werden ausschließlich vegetarische Speisen auf den Tisch gebracht - um den Körper zu entlasten, wie es heißt.
          Xenia war beruhigt, als sie gesagt bekam, dass ich auf Fastenkost neugierig sei. Was da an vor allem selbst gekochten, gedünsteten, gebackenen Speisen auf den Tisch kam, überraschte mich in seiner Vielfalt und besonders mit Wohlgeschmack. Mit dem im Querschnitt dreieckigen Schwarzbrot hatte ich originell sein wollen und vor allen sichern, dass ich nicht unbedingt Weißbrot essen musste. Da stellte sich heraus, dass die Brotsorte von der Hausfrau besonders bevorzugt wurde. Ein Schuss ins Dunkle mit Volltreffer - etwas ungewöhnlich.
          Als mir dann plötzlich auch noch eine hübsche Katze mit einer sonderbaren Vorgeschichte zu Verwunderung der Familie auf die Knie sprang, um ihre Nase an meiner zu reiben, war der Abend besonders gelungen. Ich erfuhr, dass dieser Vorzug mir als einziger Person aus ihrem Bekanntenkreis gewährt würde, was die Tischgesellschaft erstaunte. Das hübsche, gepflegte Tier saß danach, ohne zu betteln, etwa eine Viertelstunde bei mir. Ich hatte Xenia gebeten, es nicht zu verjagen. Das wurde akzeptiert, wenn auch nicht gerade wohlwollend.
         
          Wir haben mit ein ganz wenig Kognak, von dem Wadim nur einige Tropfen nippte, uns drei Stunden lang angeregt, ja glänzend unterhalten. Ich bekam auch eine schlüssige Antwort auf die Frage bezüglich der Ausweise beim Kauf von Fahrkarten und beim Einstieg in den Zug. Es ginge darum, die Leute auszubremsen, welche sich mit Aufkauf von Fahrkarten eine Verdienstmöglichkeit geschaffen hatten. Wer unbedingt fahren will oder muss ist bereit, für einen gültigen Fahrschein etwas mehr zu zahlen, wenn ihm jener in der Nähe der Kasse als  "bei mir übrig geblieben" angeboten wird.

        So kam es durch eine Eisenbahnbekanntschaft zu einer freundschaftlich beginnenden Beziehung.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger






         

       

Wieder Lugansk...


Bei den regen Reisen ukrainischer Bürger im Lande ist es zu bestimmten Zeiten sehr kompliziert, auf Langstrecken per Flugzeug ein Ticket zu bekommen, eine Fahrkarte für die Eisenbahn ebenfalls. Da helfen manchmal nicht einmal gute Verbindungen. Den weit entfernten deutschen Geschäftsleuten, gewöhnt an fast reibungslosen Flug-, Bus- und Bahnverkehr fällt es schwer, sich in die Situation des Dolmetschers zu versetzen, welcher so früh wie möglich die Terminvorgaben braucht. Um unter genannten Bedingungen rechtzeitig vor Ort sein zu können. Auch diesmal gab es die Abreiseinformation auf den letzten Pfiff.
Die erste Änderung in einem seit Jahren gewohnten Ablauf: nur mit Mühe und Vitamin „B“ bekam meine Frau am Schalter im Bahnhof Belaja Zerkov doch auf meinen Namen ein Billet nach Lugansk. Der Rückweg in die sowjetischen Zeiten: Fahrkartenkauf nur gegen Ausweisvorlage.
Am nächsten Tag die Abreise nach Kiew. Am Busstand ein Kleinbus, etwa zu einem Drittel besetzt. So bekam ich meinen bevorzugtes Sitzplatz: ganz vorn in der Reihe mit den Einzelsitzen. Da kann ich meine langen Beine ordentlich ausstrecken. Das behinderte linke Knie schmerzt dann nicht. Nach einer halbe Stunde wurde ich unruhig. Wir hatten relativ viel Zeitreserve eingerechnet – aber nicht damit, sie gleich zum Teil aufzubrauchen.  Meine Frau hatte mich begleitet und fragte den Fahrer, ob wir auch wirklich zum Hauptbahnhof fahren würden und wann endlich. Er antwortete phlegmatisch. Da kam ein ungeduldiger, vielleicht durch eine Abfahrtzeit gedrängter Passagier aus dem Bus und begann einen Streit um die Abfahrtzeit. Der Fahrer verteidigte sich ruhig. Er sei vor genau 35 Minuten vorgefahren. Laut Festlegung dürfe er, wenn der Kleinbus voll Passagiere ist, sofort abfahren. Andernfalls aber erst nach 40 Minuten und mit Benachrichtigung des Dispatchers. Eine Frau, die aus gleichem Grund ausgestiegen war, machte ihrem Unmut ebenfalls, aber schon ungezielt Luft. Auf der Fahrt bewies der ruhige Fahrer allerdings Klasse bei Umfahren der dank diesem langen und harten Winter reichlichen Frostaufbrüche mit kaum gedrosselter Geschwindigkeit bei etwa 100 km/h.
Was wir nicht vorausgesehen hatten: der Einstieg in den Zug erfolgte auch erst nach vorzeigen eines gültigen Ausweises. Der war zwar griffbereit – aber die Prozedur erinnerte doch sehr an Zeiten stark eingeschränkter Freizügigkeit in der ehemaligen Sowjetunion. Die nette Schaffnerin sah das nicht anders.
Im Abteil hatte ich eine etwa 30 Jahre junge, sympathische Frau als einzige „Begleitung“, welche jedoch nur bis in die Stadt Sumy mitfuhr. Von ihr erfuhr ich noch eine Besonderheit. Am Dienstag hatte man ihr gesagt, dass der Zug ausgebucht sei. Eine Bekannte riet ihr, die Fahrkarte bis zur Station nach Sumy zu kaufen. sie hätte die Erfahrung gemacht, dass aus ihr unbekannten innerbetrieblichen Gründen der Verkauf solcher Fahrkarten mit Vorteilen für den Mitarbeiter verbunden zu sein schien. Angelina, so hieß die junge Frau, ging am nächsten Morgen so vor wie ihr geraten – und bekam ihre Fahrkarte.

Dass man nicht nur in der Ukraine damit rechnen muss, Besuch von Langfingern zu bekommen, ist klar. Weil ich gegen 20.30 Uhr nach Abschied von Angelina und Forderung des persönlichen Biorhythmus mich schlafen legte, war das eine. Allerdings hatte ich vorher alles was Interesse von Dieben hervorrufen konnte, im Gepäckkasten unter meinem Sitz verstaut.
Wer ukrainische und russische Liegewagen nicht kennt – hier eine Beschreibung. Die Abteile der K-Waggons (so auf dem Ticket ausgewiesen) sind für vier Personen vorgesehen. Vier leicht gepolsterte, mit Kunstleder überzogene Liegen auf jeder Wandseite, alle in die Schräge hochklappbar. Die oberen, um am Tag ungehindert normal nebeneinander sitzen zu können, die unteren, um in einen stabilen Kasten von etwa 60 % Länge der Sitzbank diebstahlsicher wertvolles Gepäck unterzubringen. Der Rest freier Stauraum. Unter dem Fenster ein kleiner Tisch, an welchem abwechselnd je zwei Personen ihre Vorräte ausbreiten und essen können. Gewöhnlich sitzen da aber alle 4 um eine überladene kleine Fläche herum, sich gegenseitig zum Zulangen aus ihren eigenen hausgemachten Speisen einladend.
Zum Schlafen werden auf diese beschriebenen Unterteile dicke Matratzen gelegt, welche zusammengerollt mit je einem Kopfkissen in einer Art Gepäckablage verstaut sind. Im Ticketpreis sind die saubere, plastikverpackte Bettwäsche und ein Handtuch enthalten.
Das Abteil hatte ich innen verriegelt, schlief bis etwa 3 Uhr in der Frühe. Dann wollten die Flüssigkeiten gebieterisch ihr Recht. Auf dem Gang zur Toilette keine Menschenseele. Nach Rückkehr wollte ich den trockenen Rachen befeuchten. Die auf den Boden zwischen die Tasche mit Esswaren und Gepäck gelegte Flasche Trinkwasser war nicht da. Meine Vorräte lege ich nach Möglichkeit auf den Fußboden, weil es dort am kältesten ist – kühl selbst im Sommer. Die Flasche war auch nicht weggerollt, wie ich nach dem Einschalten des Deckenlichts sehen konnte. Stibitzt. Aber nicht in der „Pinkelpause“. 
Ich war nämlich gegen 23 Uhr kurz munter geworden, weil es im geschlossenen Abteil stickig wurde. Hatte also die Tür geöffnet, einen großen Schluck getrunken und mich wieder hingelegt. Erwachte erst, als wir nach eine halben Stunde Charkow erreicht hatten und das Türenschlagen Aus- bzw. Einstieg Reisender verkündete. Nach Abfahrt verschloss ich die Tür wieder, ohne meine Wasserflasche zu suchen. Nur so konnte man mir vorher die Flasche regelrecht „unter dem Hintern mausen“. Der Dieb konnte darin getarnten Wodka vermutet haben. Soweit die Theorie. Denn seit einiger Zeit wird der Genuss von Alkohol in Zügen recht streng geahndet. Dadurch ist viel Unangenehmes aus dem Reiseverlauf verschwunden – allerdings auch ein wenig „Kolorit“.
  Angenehm war, dass die Schaffnerin schon gegen 5.30 Uhr bereit war, mir ein Glas.heißen Tee zu servieren. Ich hatte das Glück, dass unweit von der Tür ein Stecker für Elektrogeräte vorhanden war. So konnte ich den Laptop anschließen und diesen Erlebnisbericht ohne Zeitverlust schreiben. Und da kam plötzlich meine Wasserflasche von irgendwoher unter dem Sitz hervor gerollt. Also: mir wurde nichts gestohlen – auch nicht bei offener Tür. Als ich die wieder erschienene Flasche aufnehmen wollte, machte sie sich infolge einer Bewegung des Waggons davon. Ich beobachtete das jetzt genauer. Die Flasche war nicht mehr voll. Das Wasser darin reagierte mit Verzögerung auf Kraft von außen – es schwappte in der Flasche umher. So vollführte die Flasche zusammen mit dem Waggon sehr unkontrollierbare Bewegungen, Das war der echte Grund ihres Verschwindens! Ich hatte nachts nur „meine Seite“ abgesucht, überzeugt, sie dort zu finden. Sie hat scheinbar in mehr als vier Stunden eine Reise über den gesamten freien Fußboden gemacht…
Vorurteil ist selten gut.                                  

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger





Doppelseitige Medaille

          Der Sohn meiner Frau und bedingt auch meiner war in Deutschland. Bei seiner Schwester und seinem zukünftigen Schwager. Warum schrieb ich: "...bedingt auch meiner..."? Biologisch habe ich mit ihm nichts gemeinsam - außer äußere Geschlechtsmerkmale. Aber fast 18 Jahre gemeinsames Leben haben Spuren an beiden hinterlassen. Immer dann, wenn die mir nicht besonders gefallen - im Haus zwei Männchen in Konkurrenzsituation um die Zuneigung von Frau bzw. Mutter - formuliere ich "Dein Sohn". Passt mir das Verhalten besser, sage ich eher "Unser Junge".
          Er kam vorgestern in der Nacht zurück und berichtete. War viel Interessantes dabei. Ein Erlebnis schilderte er so lebhaft, dass ich meine, unser Junge hat sich verhalten wie erwartet.
          Kurz nach der Landung in Kiew-Borispol machte sich die Undiszipliniertheit einiger heimischer Fluggäste bemerkbar. Trotz Aufforderung, bis zum endgültigen Stop am Platz zu bleiben, begannen sie, ihr Handgepäck aus den Ablagen zu zerren und sich (wie im Zug auch zu beobachten) in Richtung Ausstieg zu bewegen. Einer dieser "Eiligen" kam nicht recht an sein Gepäck heran und fluchte, an den Vater einer kleinen Tochter gewandt, dessen Sachen ihn störten, ganz übel. Pascha sagte dem Kerl laut: "Hallo du, benimm dich. Hier ist ein kleines Mädchen." "Wer bist du denn?" war die Reaktion. Im Kreis der Reisenden wurde es still. Unser Sohn, aus eigenem Antrieb glatzköpfig, nahm sein Handy und imitierte einen Anruf. Laut sagte er: "Valerij, sag doch den Jungs, dass sie mich am Ausgang treffen sollen. Hier gibt es zwei, denen wir Manieren beibringen müssen." Bis zum Ausstieg war wohltuende Stille - nur der Vater des Mädchens bedankte sich bei unserem Sohn.

          Am Morgen war ich auf dem Basar - Obst, Gemüse, Knochen für Hund und Kater, Brot einkaufen. Auf dem Rückweg kam ich am bereitstehenden Kleinbus nach Kiew vorbei. Eine der Frauen, die gerade einsteigen wollten, sah mich und machte kehrt. Sie rief mich an und kam auf mich zu. Die Mutter einer "Ehemaligen" unseres Sohnes. Sie wollte mir rasch erzählen, dass die inzwischen verheiratete Tochter ein Mädchen geboren habe und sie dorthin fahre, zum Besuch. Ich bat sie, den jungen Eltern meine Gratulation und beste Wünsche für die Familie auszurichten.
          Als ich vor Jahren mich mit beiden - jeweils einzeln - unterhielt, merkte ich, dass sie nie würden miteinander leben können. Sie hatte sich ein wenig "unterbuttern" lassen in der Hoffnung, ihn später etwas umlenken zu können. Als nach zwei weiteren Jahren die Beziehung zu Ende ging, hatte ich mit ihr eine letzte Unterredung. Wir schieden als Freunde. Vor drei Monate traf ich sie, schon mit deutlichem "Bäuchlein". Sie lief auf mich zu, sie umarmte mich wie eine Tochter mit den Worten: "Wie lange habe ich sie nicht mehr gesehen!" 
          Mit ihm war das damalige Gespräch ein wenig anders. Als er die "verlorenen Jahre" beklagte, erinnerte ich ihn daran, dass es in der Beziehung sicher auch Schönes gegeben habe, Sex eingeschlossen, er also Lebenserfahrung gemacht habe. Konnte zu Nachdenken anregen...

          Heute ist unser Hund Kai erstmals seit dem Winter in den Fluss gestiegen. Beginn unserer Badesaison.  Kann man hier sehen: 
http://www.youtube.com/watch?v=GYnFXzZ78BA

          Als ich vom Basar meiner Frau für 30 Eurocent (3 Hrywna) ein Sträußchen Schneeglöckchen mitbrachte, meinte sie: "Jetzt ist der Frühling da!"

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger







Retter Ratte

          Im Leben gibt es erstaunliche Ereignisse. Wenn sie auch nicht immer uns selbst passieren. 

          Das Folgende geschah irgendwo im Kusbass in den 1970-ern Jahren. Der Erzähler dieser wahren Geschichte kam als junger Spezialist in die Brigade mit dem bejahrten, durchtriebenen Hauer Mitritsch. Es gab an der Brigade nichts Besonderes außer einem. In einer Schicht zerstörten die Bergleute ein Rattennest. Die erwachsene Rattenmutter und alle kleinen Tiere kamen um, außer einem. Mitritsch zog die kleine Ratte auf – gab ihr etwas Milch im Schälchen, streute in die auch ein wenig Antibiotika, als das Tierchen kränkelte. Bei dieser Sorge wuchs die kleine Ratte rasch heran, wurde zu einem großen Ratterich, Jerjoma gerufen. Jerjoma lebte sich ein in der Brigade, hatte seine eigene Portion. Er liebte Speck und frisches Brot, aß zu den Pausenzeiten mit allen.

          Die Brigade arbeitete in einem Schacht, der noch vor dem Krieg aufgeschlossen worden war, holten die Kohle fast vom Erdmittelpunkt. Einmal kam es zu einem besonderen Vorkommnis. Methangas explodierte, verschüttete den Ausgang auf etwa 200m mit dem Aufzugschacht zusammen. Einige Bergleute wurden wie Fliegen zerquetscht, die anderen konnten in die Tiefe des Stollens flüchten.
Als sie sich erholt hatten, berechneten sie ihre Chancen. Luft kam irgendwie in die Grube – aber an Wasser und Lebensmitteln war eine halbe Feldflasche Wasser geblieben und drei belegte Brote, welche seine Frau dem Mitritsch zu Mittag eingepackt hatte. Die Rettungskräfte konnten im günstigsten Fall in einem Monat zu ihnen durchkommen. Nicht vergessen – das war in den 70-er Jahren, Rettungstechnik bestand aus Kopfladern und Schaufeln wie Spitzhacken.

Alle verzagten. Plötzlich leuchteten die Augen der Ratte im Dunkeln – Jerjoma. Jemand leuctee ihn mit der Grubenlampe an – die Ratte lag auf dem Rücken und bewegte die Pfoten in Richtung auf den Einsturz. Drehte sich um, lief ein Stückchen in Richtung Einsturzstelle, warf sich wieder auf den Rücken und winkte. Dreimal. Einer der Bergleute meinte, das sei so etwas wie ein Ruf dorthin. Weil es ja besseres nicht zu tun gab, folgten sie dem Tier. Die Ratte hatte begriffen, dass die Leute folgten, drehte sich nicht mehr um, sondern lief auf das abgestürzte geröll und verschwand in einem Spalt. Die Bergleute hinterher. Der Erdspalt war gerade so hoch, dass auch der Kräftigste unter ihnen durchkam – kriechend. Etwa nach fünf Metern war zu sehen, dass die Explosion die Stollenwand aufgerissen und einen Seitengang freigelegt hatte. Wieder nicht zu Aufrechtgehen, aber zum durchkriechen. Die Ratte wartete, bis der letzte Bergmann in den Seitengang gekommen war und lief weiter. Sechs Bergleute auf allen Vieren hinterher. Krochen eine gewisse Strecke – und stießen auf eine Wand.
Hat Jerjoma uns in eine Sackgasse geführt, resümierte Mitritsch. Und er wendete mit Mühe, begann zurück in den Stollen zu kriechen. Da sprang Jerjoma auf ihn, verbiss sich in seine Hose so, dass seine Zähne das Material durchdrangen, in die Wade fassten bis aufs Blut. Mitritsch schrie vor Schmerz, aber die Ratte hing an ihm, stemmt sich mit den Hinterfüßen gegen seine Bewegung. Einer der Bergleute meinte: ob er uns zwingen will, dass wir uns heraushauen? Da er seinen Abbauhammer mit sich genommen hatte, kroch er in die Sackgasse und begann zu arbeiten. Als die ersten Schläge ertönten, ließ Jerjoma von Mitritsch ab und legte sich neben ihn. Die Dünnsten krochen zurück, holten das Werkzeug aller und nach einer Stunde etwa begann eine geordnete Aktion – Hauen und das Material zurück zur Absturzstelle schaffen.
Wie lange sie gehauen haben, wieviel Meter Abbau – keiner weiß das. Die Akkumulatoren der Lampen entluden sich – sie arbeiteten wie Automaten ohne Emotionen im Dunkeln.
Im Moment, da der Abbauhammer, die Wand durchschlagend, ins Leere flog, wunderte sich niemand, keiner konnte sich freuen.
Als man sie, zerlumpt, halb verhungert und verdurstet, jedoch lebend aus dem stillgelegten Nachbarschacht an die Erdoberfläche geholt hatte, stellte sich heraus, dass sie in zwei Wochen sechzig Meter herausgehauen hatten. In dieser Zeit hatten die Rettungsmannschaften nicht einmal den Aufzugschacht von Gestein befreien können, vor allem auch deshalb, weil es noch zwei Einstürze gegeben hatte, die Arbeit von Neuem begonnen werden musste.
Mitritsch nahm den Jerjoma mit nach Hause, wo der bis an sein Rattenende lebte. Er hatte sein eigenes kleines Häuschen, Mitritschs Frau wechselte jeden Morgen das Wasser in der Trinkschale, Speck und Brot gab es immer das frischste.
Die Ratte wurde in einem Sarg  beerdigt, speziell von einem Brigademitglied gefertigt aus bestem Holz. 
Über dem winzigen Grab steht heute noch der kleine Granitstein mit der Inschrift: „Jerjoma von 25 Menschen“.
Von allen jenen, die in den Familien der geretteten Bergleute lebten.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger





Faktor Mensch...

          Heute starb eine Frau, die vieles mutig ganz anders machte, als viele aus ihrer Umgebung das für zweckmäßig hielten. An Margareth Thatcher werde auch ich hin und wieder denken. In Zusammenhang mit zwei Zitaten. Eins behalte ich für mich.Hier ist das andere: "Wenn du willst, dass etwas gesagt wird, frage einen Mann. Wenn du willst, dass etwas getan wird, frage eine Frau."

          Vor einigen Tagen bin ich aus Moskau heimgekehrt. Dort bekam ich unter anderem eine hochinteressante Information. In einem großen Unternehmen hatte sich der neue Chefingenieur ständig mit Problemen herumgeschlagen, die mit Ausfällen von Ausrüstung zu tun hatten. Nicht nur er, sondern alle Mitarbeiter waren auf diese "Probleme" fixiert. Erst als ein Spezialist aus einem Zulieferunternehmen in einer Filiale die Frage stellte, wie sich die von dieser Fabrik gelieferten Teile bewährten, gab es eine Art "Erdrutsch". Denn nirgends, wo diese Teile eingebaut waren, wurde fehlerhafte Funktion bemerkt. 
          Dem Chefingenieur kam der Tätigkeitsbericht aus der Filiale in die Hände. Ihm fiel es wie Schuppen von den Augen. Er forderte Berichte eben zu der Ausrüstung an, die einwandfrei arbeitete. Was er vermutete, war Tatsache: niemand - auch nicht sein Vorgänger - hatte je diese Informationen unter dem Blickwinkel betrachtet, was ordentlich funktioniert, also die positive Seite gesucht und gesehen. Der Spezialist war erstaunt, als er nach gewisser Zeit zum Chefingenieur gebeten wurde und einen lukrativen Auftrag bekam.

          Als ich heute meine gute Bekannte danach fragte, ob sich denn ihre Umorientierung  bewährt habe - sie hatte als Verkäuferin einen anderen Kiosk übernommen. Sie lächelte und sagte: "Meine guten Kunden wie sie sind doch mit mir gekommen. Ist ja nur ein paar Schritte. Deshalb habe ich keine Umsatzeinbuße. Sie im ehemaligen Kiosk haben sich deshalb schon etwas einfallen lassen. Eine Aktion - zu jeder großen Flasche Bier einer bestimmten Marke  einen gesalzenen Trockenfisch als Zugabe. Der ist fast mikroskopisch klein. So wie bei Verkostungen  Ich lächele nur freundlich. Mehr Aktion habe ich nicht zu bieten, vielleicht noch einige nette Worte. Das reicht."

          Auch hier die Orientierung auf das, was gut funktioniert. Allerdings gleich von Beginn an. 

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger